Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD aus dem Frühjahr 2018 sieht den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit bereits vor. Schwieriger wird es allerdings bei der rechtlichen Umsetzung ihres Vorhabens. Künftig soll es möglich sein, deutsche Dschihadisten mit doppelter Staatsbürgerschaft, die für eine Terrormiliz im Ausland kämpfen auszubürgern.
Fraglich ist, in wie weit es für einen Ausbürgerungstatbestand einer Gesetzesänderung bedarf und wie eng die Voraussetzungen dafür gefasst sein müssten. Anknüpfungspunkt ist Art. 16 Abs. I des Grundgesetzes (GG). Zwar darf die Staatsangehörigkeit gemäß Art. 16 Abs. I S. 1 GG nicht entzogen werden. Allerdings ermöglicht Art. 16 Abs. I S. 2 GG den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund eines Gesetzes. Natürlich nur, solange keine Staatenlosigkeit droht. Darauf hat man sich völkerrechtlich unter anderem in Art. 15 AEMR geeinigt.
Und hier kommt nun das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) als „aufgrund eines Gesetzes“ im Sinne von Art. 16 I S. 1 GG ins Spiel. In § 28 S. 1 StAG ist bisher nur der Verlust der Staatsangehörigkeit bei Beitritt in Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates vorgesehen. Darunter lässt sich die Teilnahme an einer Terrormiliz wie dem IS nicht subsumieren. Terroristische Vereinigungen als solche, sowie im konkreten der islamische Staat, sind keine anerkannten Staaten. Auch wenn der Name „islamischer Staat“ darauf schließen lässt, ist es letztlich nur eine selbsternannte Organisation, die die Erfordernisse eines Staates nicht erfüllt. Der Name „Staat“ hat folglich rechtlich keine Bedeutung, was es in diesem Fall erschwert einen Zugriff zu finden.
Siehe: http://www.doppeltestaatsbuergerschaft.com.au/blog/archives/09-2018
Es bedarf mithin, sofern man wie die Regierung den Passentzug als probates Mittel erachtet, einer Erweiterung des Verlusttatbestands in § 28 S. 1 StAG. Eingefügt werden soll, laut Koalitionsvertrag, die Möglichkeit des Passentzugs bei Teilnahme an Kampfhandlungen für eine Terrormiliz.
Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart hält es jedoch garnicht für notwendig die Voraussetzung „zu eng“ zu fassen und verweist damit auf die Nürnberger Prozesse. Ausreichend sei nach seiner Ansicht vielmehr schon die logistische Unterstützung von Kampfhandlungen. Im Konkreten eine irgendwie geartete Teilnahme und nicht der eindeutige Nachweis einer Beteiligung an Kampfhandlungen. Dies dürfte sich in der Realität nämlich häufig auch als schwierig herausstellen. Die entsprechenden Personen streiten jede kämpferische Beteiligung ab, sodass es letztlich an der Generalbundesanwaltschaft ist, den Nachweis von konkreten Kampfhandlungen zu erbringen.
So auch am Beispiel von Martin Lemke dem deutschen Dschihadisten. Auch er streitet jede Teilnahme an terroristischen Handlungen ab. In seinem Fall dürfte die Beweislage allerdings erdrückend genug sein, um strafrechtlich gegen ihn vorzugehen. Man geht davon aus, dass er einer der ranghöchsten deutschen IS Kämpfer in Syrien war und nicht nur eine untergeordnete Position bekleidet hat. Für ihn wäre der Passentzug allerdings sowieso kein probates Mittel, da er keine doppelte Staatsbürgerschaft besitzt. Es bleibt mithin nur die strafrechtliche Verfolgung.
Wenn es nach dem Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart geht, bedürfte es keines konkreten Nachweises, dass der Kämpfer Personen, Gefangene oder Zivilisten ermordet hat. Die Zugehörigkeit zum Lagerpersonal des IS hält er für ausreichend.
Als sehr viel problematischer sieht er die Forderung der Regierung, den Verlusttatbestand auch auf die Altfälle von im Ausland inhaftierten deutschen Terrorkämpfern anzuwenden. Zwar findet das strafrechtliche absolute Rückwirkungsverbot aus § 2 Strafgesetzbuch (StGB) keine Anwendung, da es sich bei dem Passentzug um keine Kriminalstrafe im Sinne des Strafgesetzbuchs handelt. Allerdings bedarf es der Beachtung des allgemeinen rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots. Basierend auf dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. I, III GG wird eine echte Rückwirkung untersagt.
In der Folge würde die Anwendung eines noch zu formenden Verlusttatbestands auf die sogenannten Altfälle verfassungsrechtlich vor dem Bundesverfassungsgericht wohl kaum Bestand haben. Vielmehr müsste für die bereits inhaftierten deutschen Terrorkämpfer das zum Zeitpunkt ihrer Festnahme geltende Recht Anwendung finden, welches wiederum in Art. 28 S. 1 StAG keine Möglichkeit eines Passentzugs vorsieht.
Ferner ist die Justiz nach dem Rechtsstaatsprinzip sowie §§ 5 und 6 StGB gehalten Verbrechen ihrer Staatsbürger strafrechtlich zu verfolgen, auch wenn die Handlungen im Ausland begangen wurden. Es besteht mithin eine rechtsstaatliche Verantwortlichkeit sowie Schutzpflicht für sämtliche deutsche Staatsbürger, solange sie es denn sind. Dies gilt auch, wenn die Staatsangehörigen kriminell geworden sind.
Zu klären bleibt also, ob die reine Beteiligung an terroristischen Verbrechen als solche ausreichend ist, um eine Entbürgerung zu argumentieren. Ob die Handhabung bei den Nürnberger Prozessen auch auf deutsche Terrorkämpfer im Ausland angewandt werden kann, ist fraglich. Der Entzug der Staatsbürgerschaft ist laut dem Berliner Rechtswissenschaftler Dieter Gosewinkel eine zu schwere Zwangsmaßnahme, als dass es genügen würde, dass jemand lediglich dazu beigetragen hat „die Mordmaschinerie am Laufen zu halten“.
Man kann sich also darüber streiten, ob es eines Verlusttatbestands überhaupt bedarf und wenn ja wie eng die Voraussetzungen geknüpft sein sollten oder ob die Lösung im Umgang mit kriminell gewordenen Deutschen nicht die Strafverfolgung im eigenen Land sein sollte. Rechtlich ist der Passentzug für Terrorkämpfer mit doppelter Staatsbürgerschaft möglich. Fraglich aber, ob auch sinnvoll. Deutschland würde die rechtsstaatliche Verantwortung für die eigenen Bürger von sich weisen.
Vielmehr könnte man auch auf das funktionierende deutsche Strafverfolgungssystem sowie Reintegrationsmaßnahmen zurückgreifen, um etwaige vom Weg abgekommene Personen wieder in die Bahn zu lenken. So aber spielen die einzelnen Länder, wie auch unter anderem Australien, Frankreich und Österreich die Verantwortung für die eigenen kriminell gewordenen Staatsbürger wie Pingpong hin und her. Aber eines darf dabei nicht außer Acht gelassen werden: Entzieht man den Bürgern die Staatsbürgerschaft, sind sie dadurch trotzdem noch nicht aus der Welt.
Quellen:
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/is-kaempfer-staatsrechtler-haelt-niedrige-huerden-fuer-entzug-der-deutschen-staatsbuergerschaft-fuer-moeglich/24062870.html?ticket=ST-291568-LonI0buiktQAcZNrZYvx-ap1
https://www.vorwaerts.de/artikel/deutschen-staatsbuergerschaft-entzogen
http://www.doppeltestaatsbuergerschaft.com.au/blog/archives/06-2017
https://www.n-tv.de/politik/Einfach-ausbuergern-das-geht-nicht-article20887510.html
https://www.sueddeutsche.de/kultur/recht-und-verbrechen-schlimmer-als-folter-1.2849287
https://chrismon.evangelisch.de/nachrichten/43311/regierung-plant-ausbuergerung-von-terrorkaempfern-mit-doppelpass